Tuesday, April 9, 2013

Hayek-Institut hat keine Antworten auf Griechenland-Fragen

Am 3. April wurde auf ATV eine Diskussion zum Thema "Rekordarbeitslosigkeit bei Jugendlichen - Wie entschärft die EU die tickende Zeitbombe?" ausgestrahlt. Zu den Diskussionsteilnehmern gehörten Dr. Stephan Schulmeister und die Präsidentin des Wiener Hayek-Institutes Dr. Barbara Kolm. Wer gehofft hatte, dass Dr. Kolm ein überzeugendes Plädoyer für die Vorteile einer liberalen Marktwirtschaft halten würde, musste sich enttäuscht fühlen. Während Dr. Schulmeister recht leidenschaftlich seine Vision einer besseren Welt darstellte, begnügte sich Dr. Kolm mit modellhaften Standardargumenten. Unten ist als Reaktion darauf mein Schreiben an Dr. Kolm.



Sehr geehrte Frau Dr. Kolm,

als Hayek-Verehrer war ich gestern bei der TV-Diskussion enttäuscht, dass Sie keine starken Argumente für die Causa einer liberalen Marktwirtschaft gebracht haben. Ehrlich gesagt, wenngleich meine Denke fast diametral jener von Dr. Schulmeister gegenübersteht, fand ich ihn trotzdem streckenweise überzeugender in der Diskussion.

Sie wiederholten die klassischen Argumente: Staatsausgaben in der Griff bekommen, Reformen umsetzen und die Wirtschaft nach außen öffnen --- und dann einfach warten, bis Wunder geschehen. Sie übersehen dabei jedoch den wichtigsten Punkt von allen, nämlich die Frage: in wieweit passt dieses Modell zur jeweiligen Gesellschaft. Wenn es passt, dann werden sich Erfolge rasch einspielen. Wenn nicht, dann wird es eher einen Bumerang geben.

Ich erlebte Chile in den frühen 1980er Jahren als Leiter der Niederlassung einer amerikanischen Großbank. Durch meine Position hatte ich Zugang zu und persönliche Beziehungen mit allen wesentlichen Chicago-Boys vom Finanzminister abwärts. Für mich ist das, wofür die Chicago-Boys damals den Grundstein gelegt hatten, bis heute weltweit unübertroffen. Es hat seither auch noch keine chilenische Regierung, weder von links noch von rechts, es gewagt, an den Grundprinzipien dieses Modells etwas zu ändern.

Miton Friedman’s Laborexperiment hätte komplett schiefgehen können. Es wurde m. E. aus einem einzigen Grund eine reine Erfolgsstory: die Chilenen waren von der Mentalität her optimale ‚Versuchskaninchen‘. Die Chilenen sind ein aufgeschlossenes und aufgeklärtes Volk. Sie wollen sich stets verbessern und sind nahezu süchtig, von anderen zu lernen. Sie betrachten es als Auszeichnung und Vertrauensvotum, wenn ausländische Investoren ins Land kommen. Sie machen eine objektive Analyse ihrer Stärken/Schwächen und bauen darauf ihr Geschäftsmodell auf. Etc. etc.

Mein Thema ist Griechenland, weil ich seit knapp 40 Jahren mit einer Griechin verheiratet bin und das Land gut kenne. Deswegen führe ich auch einen recht gut frequentierten Blog über Griechenland. Mit den anderen Problemländern der Eurozone beschäftige ich mich nur am Rande. Ich glaube auch, dass Griechenland nicht wirklich mit anderen Ländern vergleichbar ist.

Man könnte meinetwegen über Nacht den Griechen alle Staatsschulden erlassen, das Budget auf plus/minus Null stutzen und sämtliche Branchen liberalisieren --- es würde die große Veränderung/Verbesserung nicht bringen. Die Griechen sind so ziemlich das Gegenteil von den Chilenen. Unsicher, ob sie wirklich dem rationalen Westen (anstelle des eher mystischen Ostens) zugehören; misstrauisch gegenüber allem, was aus dem Ausland kommt; misstrauisch gegenüber allem, was mit dem Wort Kapitalismus in Verbindung gebracht werden kann; etc. etc. Vor allem: dort, wo sich die Chilenen dafür begeistern konnten, sich aus dem Dreck der 1970er Jahre aus eigener Kraft zu ziehen, neigen die Griechen dazu, sich eher noch mehr in den Dreck zu vertiefen, damit das Unglück größer wird und damit sie andere für ihr Unglück beschuldigen können. Das ist eine Frage der Mentalität.

Bitte beachten Sie, dass es in Griechenland keine Reformation, keine Aufklärung und keine industrielle Revolution gegeben hat. Während die Mitteleuropäer jahrhundertelang fast ununterbrochen Kriege führten und im Zuge dessen fast ununterbrochen ihre Wettbewerbsfähigkeit steigerten, gewöhnte sich die griechische Psyche an ein Untertanensein, wo man am besten dran war, wenn man die Autorität bzw. den Staat hintergehen konnte.

Seit seiner Unabhängigkeit 1832 gab es meines Wissen kein einziges Jahr, in dem Griechenland NICHT auf finanzielle Impulse aus dem Ausland angewiesen war. Das moderne Griechenland wurde nach dem Bürgerkrieg von Gastarbeitern aufgebaut. Von 1950-72 waren die Rücküberweisungen der Gastarbeiter BEI WEITEM die größte Devisenquelle des Landes (wesentlich größer als Fremdenverkehr und/oder Schifffahrt). Als die Gastarbeiterrücküberweisungen abflauten, wurden sie nahtlos von EU-Förderungen und seit dem Euro von billigen Krediten abgelöst. Griechenland hatte nie eine nennenswerte Industrie. Was es jemals davon hatte, wurde durch den Euro weitgehend ausradiert.

Griechenland ist über weite Strecken noch ein Entwicklungsland. Zumindest zwei der vier EU-Freiheiten (freier Güter- und Kapitalverkehr) sind Freiheiten, mit denen die griechische Wirtschaft nicht von heute auf morgen fertig werden kann. Man kann sich natürlich fragen, was ein solches Land in der EU und Eurozone verloren hat, aber diese Frage ist heute zu spät. In Wirklichkeit braucht Griechenland Entwicklungshilfe in weiten Gebieten des wirtschaftlichen, öffentlichen und politischen Lebens. Und zu meiner großen Enttäuschung höre ich von Ihnen nicht viel mehr als die Standardvorschläge des ordentlichen Haushaltens und des Liberalisierens der Wirtschaft.

Griechenland kann nur gerettet werden (und die Kredite an Griechenland können nur gerettet werden), wenn man sich kreative Incentives einfallen lässt, wie man Wertschöpfung ins Land bringt. Die Schulmeisters dieser Welt denken sofort an öffentliche Ankurbelungsprogramme. Das eine oder andere öffentlich finanzierte Infrastrukturprojekt mag schon sinnvoll sein, man muss sich dabei aber bewusst sein, dass durch solche Projekte auch die Guthaben auf Auslandskonten einflussreicher Griechen steigen.

Der Chef der deutschen Allianz-Gruppe hatte vor ca. 2 Jahren einmal den Satz geprägt, auf den es ankommt. Er sagte sinngemäß: „Wir müssen schauen, dass wir einen Teil unserer Auslandsinvestitionen umschichten vom Osten und Fernosten in Richtung Süden“ (sprich: nach Griechenland). Damit ist fast alles gesagt, aber niemand in der EU – auch Sie nicht! -  redet darüber.

Griechenland hat es geschafft, seine internen und externen Konten ins Gleichgewicht zu bringen: das Primärbudget und die Leistungsbilanz verzeichnen bereits geringe Überschüsse. Ergebnis: Arbeitslosigkeit in Richtung 30%. Ein wirtschaftlicher Laie kann daraus schließen, dass die griechische Wirtschaft in ihrer derzeitigen Struktur ihre Bevölkerung nicht ausreichend beschäftigen kann, wenn die internen und externen Konten ausgeglichen sind.

Man werfe einen kurzen Blick auf die griechische Zahlungsbilanz und man sieht, dass die griechische Wirtschaft Geld aus dem Ausland braucht wie der Mensch den Sauerstoff zum Atmen. Da dieses Geld nicht mehr in ausreichendem Maße in der Form von zinstragenden und rückzahlbaren Krediten kommen wird, MUSS es in der Form von Auslandsinvestitionen kommen.

Es wäre ein Leichtes (und äußerst Kostengünstiges!) für die EU, sich Incentives einfallen zu lassen, wie privates Investitionskapital freiwillig nach Griechenland fließen könnte. Man müsste beispielsweise nur Haftungsrahmen à la Kontrollbank für solche Investitionen einräumen. Meinetwegen zum Nulltarif. Die Haftungen müssten das gesamte politische Risiko beinhalten (inklusive das Grexit-Risiko), nicht aber das wirtschaftliche Risiko. Und von den Griechen müsste man verlangen, dass sie mittels Investitionsgesetz den Auslandsinvestoren jene Rahmenbedingungen zusagen (meinetwegen nur in Sonderwirtschaftszonen), die sich Auslandsinvestoren wünschen. Keine besonderen Perks; einfach nur optimale Rahmenbedingungen. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, dann fließt privates Investitionskapital von selbst.

Und zu solchen Überlegungen hätte ich von Ihnen gerne Vorschläge gehört. Das waren die Überlegungen, welche die Chicago-Boys seinerzeit in Chile angestellt hatten. Das wäre wirtschaftliche Aufbauhilfe, die unsere Chancen erhöhen würden, jemals wieder etwas von unserem dorthin geschickten Geld zu sehen. 

In diesem Papier hatte ich vor 3 Jahren zum ersten Mal meine Ideen vorgeschlagen. In meinem Blog habe ich es mehrmals aktualisiert. Ich behaupte nicht, dass nur meine Ideen zum Ziel führen, aber ich behaupte sehr wohl, dass es diese Themen sind, mit denen sich Wirtschaftsliberale auseinandersetzen sollten/müssten, statt immer nur modellhafte Standardformeln runter zu beten. Damit ist nur den Schulmeisters dieser Welt geholfen!

4 comments:

  1. Very good comment, also the paper is very good. How, indeed, to deal with the balance of trade problem? Only via foreign investment.

    This is an area where Germany's industry minister, Rösler, actually tried to achieve a lot. Travelling to Athens with 70 (!) industry leaders to try and craft a "growth an investment offensive".

    It didn't work at all well.

    http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/geplante-hilfen-fuer-griechenland-viel-laerm-und-leere-worte-1.1296158

    No doubt, there's fault on both sides. It appears Minister Chrysohoides was pretty useless. And Rösler's officials really, really shouldn't have started leaking to the media after only six months. It will take years.

    It just ended in mutual recrimination. But it was a very good idea.

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    1. Yes, that was one of the best ideas in the last 3 years which led to one of the worst results imaginable (particularly the public mutual recrimination part).

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  2. Interesting proposals, indeed. Sounds like being worth a try.
    But will the greeks accept these ideas or will thy cry about foreign occupation and imperialistic colonization?

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    1. The only way Greeks can avoid what they may consider 'foreign occupation' or 'imperialistic colonialization' is by not needing money from foreigners! And when you need money from foreigners, it's a lot smarter to take it in the form of non-interest bearing and non-repayable foreign investment instead of interest-bearing and repayable debt.

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